Ein Nachtrag zum MDR-Bericht (12.11.20) über die militanten Proteste gegen Verdrängung
Am Mittwoch, dem 11. November, gab es in Jena eine militante Spontandemonstration, die sich unter anderem gegen Verdrängung aus der Innenstadt und die investorenorientierte Stadtpolitik Jenas gerichtet hat. Die ca. 50 linken Teilnehmer*innen des „antiautoritären und antifaschistischen Martinsumzuges“ haben dabei laut Medienberichten mehrere Fensterscheiben zerstört, einige Graffitis hinterlassen und Mülltonnen in Brand gesetzt. Die Polizei meldete auch Angriffe auf Polizist*innen und ein beschädigtes Einsatzfahrzeug.
In einem entsprechenden Aufruf (in Auszügen nachzulesen bei libertad-media) zu der Aktion kritisieren die Autor*innen die „Zerstörung von soziokulturellen und alternativen Orten“ und die neoliberale Stadtpolitik. Beides Themen, die wir als Recht auf Stadt Jena seit vielen Jahren immer wieder auf die Tagesordnung der Lokalpolitik setzen. Vor diesem Hintergrund hat uns das MDR am Tag nach der Aktion um ein Pressestatement zum Thema Gentrifizierung und Verdrängung in Jena gebeten. Wir haben zugesagt mit dem Ziel, den öffentlichen Fokus auf den Inhalt der Proteste zu lenken, statt über die Legitimität der Protestform selbst zu diskutieren. Vom gestrigen Thüringen Journal Beitrag „Gewalt bei Protesten gegen höhere Mieten in Jena“ sind wir dahingehend jedoch enttäuscht worden.
Zum einen, da unsere im Interview ausführlich dargestellte Kritik an den laufenden Verdrängungsprozessen und der Mietpreisentwicklung in Jena – einer der teuersten Städte Ostdeutschlands – kaum Raum bekommt. Dass sich in der Boomtown an der Saale ein durchschnittlicher Haushalt kaum noch Neubaumieten leisten kann, wird ebenso wenig erwähnt wie die Tatsache, dass die Mietbelastungsqoute bei immer mehr Menschen die 30%-Hürde überschreitet und damit laut EU-Richtlinien und Wissenschaft ein eindeutiges Armutsrisiko darstellt. All dies gehört mit oberster Priorität in die aktuelle Diskussion, kommt aber viel zu kurz.
Zum anderen wurden wir für eine Ausrichtung des Beitrags in Szene gesetzt, die wir nicht unterstützen. Der Beitrag legt uns eine „Verurteilung der Gewalt“ in den Mund, die wir so nie geäußert haben und in einem Bericht über die Probleme der Jenaer Stadtentwicklung – so wurde uns der Bericht angekündigt – schlicht für fehl am Platz halten.
Als Recht auf Stadt Jena verurteilen wir die steigenden Mieten in der Stadt, die Missachtung unseres Rechts auf Wohnen, Verdrängung von alternativen Jugendlichen aus einer immer kommerzieller werdenden Innenstadt, Entmietungen, Zwangsräumungen und die dahinterstehende Politik.
Als wohnungspolitisches Netzwerk haben wir in den vergangenen Jahren unseren Unmut darüber auf vielfältige Weise zum Ausdruck gebracht: bei den Thüringer Mietparaden, als Unterstützer*innen von Bürgerinitiativen, wie der „Bürgerinitiative für soziales Wohnen in Jena“ aus Lobeda, durch Beratung von Mieter*innen, Infoständen und Teilnahmen an bundesweiten Aktionstagen. Mit Pflastersteinen durch die Innenstadt zu ziehen entspricht also sicherlich nicht unserer Wahl der Mittel. Aber wir sehen uns nicht in der Position, den Protest vom Mittwoch Abend einfach nur öffentlich als „neue Qualität der Gewalt“ zu verurteilen, wie es Ordnungsbehörden, CDU und AFD nun tun. Wir halten es für sinnvoller, öffentlich die Frage zu stellen, warum Menschen überhaupt zu solchen Mitteln greifen. Woher kommt die Wut und die Unzufriedenheit mit der Situation in der Stadt?
Als Aktivist*innen für das „Recht auf Stadt“ sind wir davon überzeugt, dass sich soziale Probleme genauso wenig wie der politischen Unmut, den sie hervorbringen, mit ordnungspolitischen Mitteln bekämpfen lassen. Um Verdrängung und immer unbezahlbarer werdende Mieten in Thüringer Großstädten in den Griff zu bekommen, braucht es einen radikalen Kurswechsel in der Stadt- und Wohnungspolitik und vor allem eine gesellschaftliche Debatte.
Lasst uns also darüber reden, warum der Markt nicht in der Lage ist, unser Grundrecht auf Wohnen zu garantieren, warum Wohnraum keine Ware sein sollte und wie wir in unseren Städten miteinander leben wollen.