Für eine inklusive Stadtmitte

FORDERUNGSKATALOG FÜR DEN EICHPLATZ UND WEITERE KOMMUNALE FLÄCHEN

Jena hat ein lebensbedrohliches Problem: seine Mieten. Angesichts des aktuellen Mangels an Wohnraum – mit 22% Erschwinglichkeitsquote für kalte Mieten (EIMX 2014) ist Jena die Nummer 1 Ostdeutschlands ! – herrscht eine nicht zu übersehende Wohnungskrise. Zudem sind die Mieten hoch, viele Menschen hingegen arm. Der Slogan „München des Ostens“ stimmt insofern nicht, weil die Stadtverwaltung Münchens mit ihrer kommunal festgeschriebenen Sozialgerechten Bodennutzung (SoBoN) zumindest den Anschein gibt, sich für sozialen Wohnraum einzusetzen und der Einkommensdurchschnitt in der bayerischen Hauptstadt höher ist.

Für den Eichplatz lautet deshalb die Lösung: sozialer Wohnraum im Neubau! Zwar ist die Notwendigkeit, Wohnungen zu bauen, in der kommunalen Stadtplanung mittlerweile Konsens, aber die Bereitschaft, dass sie auch für die nicht beachteten „Randgruppen“ der Gesellschaft zurCIMG2087 (Kopie) Verfügung gestellt werden, ist in den laufenden Diskussionen nicht zu erkennen. Im Prozess der neuen Bürger*innen-beteiligungsverfahren – begleitet vom Planungsbüro Stadtlabor – stellt die „Recht auf Stadt“-Initiative deshalb ihre konkreten Forderungen. Diese gelten nicht nur für den Eichplatz, sondern – im Kontext der durch die Stadt Jena geförderten Innenstadtaufwertung – für alle mittelfristig freiwerdenden Flächen:

1. Keine Privatisierung von öffentlichen Grundstücken!

Der Eichplatz soll ein Gemeingut bleiben. Mit dessen Entwicklung, sowie den weiteren freiwerdenden Flächen in der Innenstadt (Bachstraße, Engelplatz) hat die Stadt Jena eine einmalige Chance, ein Zeichen zu setzen, dass hier eine inklusive Stadtmitte geschaffen werden soll. Diese Plätze dürfen keine Ghettos der Reichen, sondern müssen sozial gemischte Stadtquartiere werden. Dies kann nur durch eine soziale Wohnungsversorgung geschaffen werden.

Die scheinbar „naturwüchsige“ Raumknappheit darf nicht weiter als Argument für die Privatisierung öffentlichen Eigentums herangezogen werden. Private – mittlerweile auch viele öffentliche – Investitionen basieren auf Renditeerwartungen. Die daraus folgenden Mietpreise können sich nur besser entlohnte „hochqualifizierte“ Arbeitskräfte leisten. Wer diese hingegen nicht bezahlen kann oder will, wird aus der Innenstadt verdrängt.

2. Alle Betroffenen im Prozess einbeziehen!

Insbesondere strukturell benachteiligte Personen: Frauen, Jugendliche, Alleinerziehende, Hartz IV-Empfänger*innen, Behinderte, Geflüchtete; kurz: alle unsichtbaren Menschen, die sich im klassischen Prozess der Bürger*innenbeteiligung nicht durchsetzen oder teilnehmen (können).

In der Planung für die Eichplatz-Bebauung sollen diese Menschen deshalb besondere Berücksichtigung finden, was ebenso für diejenigen gilt, die im öffentlichen Raum nicht nur konsumieren wollen. Es bedarf daher Plätze des Austausches und der Begegnungen,

Rückzugsorte, barrierefreie Übergänge, usw.

3. Sofortige dezentrale Unterbringung für Geflüchtete!

CIMG2106 (Kopie)Aktueller Leerstand im Besitz der Kommune, des Landes, sowie gemeinnütziger Organisationen (bspw. Ernst-Abbe-Stiftung) soll umgehend für die dezentrale Unterbringung geflüchteter Menschen aufbereitet werden. Dies beinhaltet sowohl die Sanierung verfallender Häuser (bspw. Carl-Zeiss-Straße) als auch die Beendigung künstlichen bewohnbaren Leerstands zum Zwecke der Grundstücksaufwertung (bspw. Neugasse).

Des Weiteren bedeutet soziale Wohnungsbaupolitik auch die langfristige Berücksichtigung der Interessen von Geflüchteten, ohne sie gegen jene von Herkunftsdeutschen auszuspielen. Wohnungsneubau (bspw. Eichplatz und Bachstraße) muss deshalb steigende Geflüchtetenzahlen mitdenken sowie zum Zwecke sozialer Durchmischung betrieben werden.

4. Soziale Stadtentwicklungspolitik im „Zentrum“ und in der „Peripherie“!

Eine „Stadt für alle“ oder das „Recht auf Stadt“ ist die Idee, die Interessen von allen Betroffenen zu vertreten, vor allem aber jener Teilgruppen „die die Zentralgewalt an die geistige, gesellschaftliche und räumliche Peripherie abgedrängt hat“ (Lefebvre, 1974: 43). Diese Verdrängung findet in Jena statt, so lange Leute mit geringen Einkommen in die Peripherie ziehen müssen: „Günstige Bestandswohnungen, zum Beispiel in den Großwohngebieten Lobeda und Winzerla werden frei und können durch Menschen mit einem eher niedrigen Einkommen belegt werden.“ OTZ (05.03.2015)

So die Strategie: Ökonomisch privilegierte Menschen können entscheiden, wo sie wohnen; ökonomisch benachteiligte hingegen nicht. Deswegen ist ein sofortiger öffentlicher Eingriff unverzichtbar, um bezahlbaren Wohnraum in Jena zu schaffen.

5. Sozialgerechte Wohnungsbaupolitik: 50% sozial, 20% alternativ, 30% privat!

Für das Marktsegment des preiswerten Wohnens sind bis auf eine kleine Fläche in Winzerla vorrangig keine neuen Wohnbauflächen zugeordnet worden.“ (Analyse & Konzepte, Wohnbauflächenentwicklung in der Stadt Jena 2014)CIMG2096 (Kopie)

Diese Planung basieren auf falschen Annahmen. Für alle Flächen der Innenstadt sollten ab sofort folgende Vorgaben für jedes Neubauprojekt gelten: 50% sozialer Wohnungsbau (mit Belegungsbindung, max. 6EUR/qm), 20% Wohnprojekte (vorrangig Mietshäusersyndikat oder kleine Genossenschaften), 30% freifinanzierte Wohnungen. Es gibt nur Vorteile für eine sozialgerechte Stadtentwicklung.

– Die Stadt Jena übernimmt wohlfahrtsstaatliche Aufgaben, indem sie soziale Wohnraumförderungen in Anspruch nimmt, die das Land Thüringen derzeit (noch) zur Verfügung stellt. Andere Städte (Hamburg, München, Frankfurt, Bremen, Freiburg) haben einen Richtwert von 1/4 zu 1/2 von sozialen Wohnraum im Neubau durchgesetzt. Aktuell hat es die Stadt Bremen mit ihrer sozialen Wohnungsgesellschaft GEWOBA geschafft, 25% sozialen Wohnungsbau für 6,1euro/qm in der Überseestadt zu bauen. Wir fordern 50% sozialer Wohnungsbau in der Gesamtstadt.

– Die Wohnprojekte sind Garant für ein gemeinschaftliches Leben in der Innenstadt, sowie für kulturelle und soziale Vielfalt. Die Stadt Weimar hat es sich getraut, beim Verkauf des Klinik-Geländes eine Wohnungsgenossenschaft (RO70) zu bevorzugen. Wohnprojekte in Form von kleinen Genossenschaften, Baugruppen, Mietshäusersyndikaten sind auch in angespannten Wohnungsmärkten wie Leipzig, Berlin oder Zürich (Hunzikerareal) integrierbar, wenn Kooperationsmöglichkeiten dafür mit der Stadtverwaltung bestanden.

Die zu 1/3 freifinanzierten Wohnungen sollten aber nur an das ganzheitlich qualitativste Angebot vergeben werden, was u.a. auch eine besondere Architektur und städtebauliche Sprache enthält, die nach außen wirkt. In diesem Bereich sollen halb-öffentliche Freiräume (d.h. für alle zugänglich) integriert werden: z.B. mit gemeinsamer Nutzung von Gärten, Höfe als Kulturorte für öffentliche Veranstaltungen, Gemeinschaftsräume usw.

Jena, 23. November 2015