Redebeitrag Pekari

Jena braucht ein autonomes Zentrum!

Mit dieser Parole werden wir auch heute wieder – unterstützt von wuchtigen Bässen – durch die Straßen ziehen. Tanzend, laut, wütend, fröhlich und kämpferisch für das Recht auf Stadt. Wir schließen uns nahtlos an, solidarisch und auch kritisch, als Teil eines Projektes, das vieles zusammenführt.

Wir haben viele Ideen, die Raum zur Verwirklichung brauchen. In den letzten Wochen haben wir es aber wieder mal schmerzlich erfahren: In Jena fehlt es an allen Ecken und Enden an politisch nutzbarer Infrastruktur. Die Alternativen Orientierungstage wären sicherlich nie zustande gekommen, wären da nicht bereits jetzt schon selbstorganisierten Räume in der Stadt, die das Planen und Vorbereiten eines solchen Projektes ermöglichen. Aber feststeht: Die wenigen Nischen, die wir haben, reichen bei Leibe nicht aus.

Nicht selten endet die Suche nach politische nutzbarer Fläche und nach Orten des Zusammenkommens daher in den sterilen Seminarräumen der Carl-Zeiss-Straße. Besser als nichts, könnte mensch jetzt sagen und klar, die Universität eignet sich tatsächlich hin und wieder wunderbar als Ressource, um Vorträge, Workshops usw. zu organisieren. Auch als finanzielle Quelle unserer politischen Arbeit ist sie nicht zu unterschätzen. Mit dem Couch-Café und zahlreichen Veranstaltungen haben wir gesehen, was mit ein wenig Vorbereitung und Subversion möglich ist: Eine politische Praxis, die nicht nur die Uni, sondern die gesamte Gesellschaft radikal in Frage stellt, kann auch mitten in der Uni Fuß fassen. Ein bisschen Widerstand im Herzen der Bestie ist schon drin – aber hat eben auch seine Grenzen. Administrative Grenzen, Öffnungs- und Schließzeiten, bürokratische Hürden und schlussendlich die Abhängigkeit vom cäsarischen Daumen der Univerwaltung. Von Autonomie und Selbstverwaltung kann hier keine Rede sein. Ein instrumentelles Verhältnis zur Universität gilt es zwar beizubehalten, kann aber nicht das Ende aller Tage sein. Wir wollen die ganze Stadt und nicht nur ein Stück vom Kuchen. Als politische Gruppe ist uns völlig klar: Ohne politische Infrastruktur wäre unser offenes, linkes Projekt längst schon vor die Wand gefahren, denn Organisierung braucht nicht nur Zeit, sondern auch Raum. Deshalb: Lasst uns für eine selbstverwaltete widerspenstige Homezone kämpfen. Wir brauchen einen emanzipatorischen Stützpunkt für einen noch langen gemeinsamen Weg: Ein autonomes Zentrum.

Städtische Kämpfe miteinander verbinden

Die alte Leier vom AZ in Jena ist nach wie vor aktuell und etwas, für das wir, als Teil einer anderen Idee, die zur Zeit in aller Munde und heute hier unser aller Motto ist, kämpfen: Recht auf Stadt. Aber was steckt hinter dieser griffigen Parole? Zunächst einmal sind da Hamburg und Berlin. Mietrebellen in den großen Städten, Verdrängung aus den Innenstädten, Zwangsräumungen und massive Repression, Kämpfe von Geflüchteten für Bleiberecht und gegen Isolation. Ein Haufen Protest und Widerstand miteinander verwoben. „Alle oder nirgends!“, heißt es und ein antikapitalistischer Aufschrei hallt durch zahlreiche europäische Städte. Die Stadt als Zentrum der kapitalistischen Widersprüchlichkeiten wird wieder zum zentralen Austragungsort sozialer Konflikte und politischer Kämpfe. Huiuiui. Aber wie sieht‘s denn bei uns aus, in der Thüringer Provinz?

Wenn wir überhaupt davon reden wollen, steht Recht auf Stadt in Jena ganz am Anfang. Umso mehr muss eine Auseinandersetzung beginnen, inhaltlich, praktisch, organisatorisch. Wir freuen uns, dass wir hier heute tanzend und morgen mit Action dafür vielleicht gemeinsam einen Grundstein legen können. Es liegt an uns, den Begriff zu füllen.

Dass sich gerade an dieser Stelle aus linksradikalen Kontexten gerne belächelnd zurückgehalten wird, stößt bei uns auf Unverständnis. Die häufig geäußerte Angst einer Verbürgerlichung der Kritik im Zuge einer Öffnung der Szene mittels Recht-auf-Stadt ist ein bekanntes Beispiel. Das ist unserer Meinung nach aber allein schon deswegen unbegründet, weil wir hier einen einmaligen Glücksfall von einander ergänzenden Interessen vorfinden. Die Hoffnung, die daher unsererseits besteht, ist, dass es umgekehrt zu einer Radikalisierung bürgerlicher Kritik kommen kann, die uns als sogenannte Szene letztlich auch helfen wird, mit der sogenannten und gern verpönten Mehrheitsgesellschaft in Kontakt zu treten, aber auch mit uns selbst. Es gilt also die Denkmuster des linksradikalen Avantgardismus zu überwinden, der in der heutigen Zeit ohnehin nur noch als vorpolitischer Szenekult und primitiver Abgrenzungszwang daherkommt. Nein, Recht-auf-Stadt muss zusammen und im gegenseitigen Austausch geschehen.

Recht auf Stadt ist also eine Möglichkeit, die einzelnen Gruppen und Initiativen aus der Vereinzelung zu holen und ist auch ein Sammelsurium verschiedener Strategien, die bspw. Selbstermächtigung und politische Forderung nicht gegeneinander ausspielt. Es geht also nicht um ein „wir werden alle gleich“. Wir bleiben bitte alle schön unterschiedlich. Aber wir werden kooperieren, uns gegenseitig helfen, miteinander diskutieren, streiten und kämpfen, um die Vielfalt, die hinter Recht auf Stadt stehen kann, so umfangreich wie möglich umzusetzen. Ob es dabei um nachhaltiges Leben, Wohnraum für Geflüchtete oder bezahlbare Mieten geht: Allen Themen ist gemein, dass sich die Dinge hier in unserer Stadt abspielen, auf der Straße, in den Häusern, jeden Tag. Und alles wendet sich gegen eine kapitalistische Logik, die auf Vereinzelung setzt, der wir hier und heute widerständig und gemeinsam entgegentreten wollen. Und morgen. Ab jetzt immer.

Recht auf Stadt bedeutet daher, sich kollektiv und solidarisch mit anderen zu organisieren, städtische Kämpfe und verschiedene Themen zu verbinden, zu streiten, zu diskutieren und zu handeln. Und ja: Das bedeutet für uns eben auch Teil eines pluralen, undogmatischen Netzwerkes zu sein und erfordert eine langen Atem und viel Geduld. Aber hey: Wir können es uns als sich viel zu gerne selbst feiernde Szene gar nicht oft genug hinter die Ohren schreiben: Keine abgeschottete Geschlossenheit und kein isolierter Einzelkampf wird jemals gesellschaftliche Wirkmächtigkeit erreichen. Unsere Message ist und bleibt deshalb: Öffnung schafft Handlungsmacht!

In Jena scheint etwas ins Rollen zu kommen

Die Relevanz der Freiraumthematik rückt nach und nach in den Mittelpunkt des politischen Aktivismus. Ein Zusammenhang mit der allmählichen Zerstörung von „Freiraum“ durch städtebaupolitische Prozesse ist dabei wohl kaum zu leugnen. Überraschend hingegen erscheint uns dabei, dass die Wut über Verdrängung von Subkultur und alternativem Leben sich mehr in Verzweiflung, Resignation und Phrasendräscherei äußert, als in einer kritischen Auseinandersetzung. Der Versuch in Jena, ebenso eine Recht-auf-Stadt-Bewegung zu initiieren, wirkt daher ein wenig als zugespitzter Rundumschlag einer Szene, die im wahrsten Sinne des Wortes nur auf dem Papier existiert und sich auch nur darüber wahrnimmt. Deshalb lasst uns hier heute, beim durch die Straßen Raven, mal alle an unsere eigene Nase fassen und fragen: Was will ich eigentlich wirklich, wofür kämpfen wir und warum dieses „Recht auf Stadt“? Damit das, was wir hier heute versuchen, nämlich zu fragen „Wem gehört die Stadt?“, samt seiner Vorgeschichte der letzten Zeit nicht bei einer floskelhaften Selbstinszenierung bleibt und schließlich als inhaltsleere Trendbewegung endet. Lasst uns „Recht auf Stadt“ selber machen, lasst uns Stadt selber machen! Heute Nacht gehört sie auf jeden Fall schon mal uns!

Wir sind also solidarisch und zugleich kritisch mit Recht-auf-Stadt und dieser Demo. Kritik und Solidarität sind dabei keine sich ausschließenden Gegensätze, sondern lassen sich produktiv aufeinander beziehen. Es gibt nicht die richtige Praxis der Aneignung der Stadt. Und auch nicht das wichtigere Thema. Wir brauchen die ganze Palette an Dingen, die Stadt bedeuten kann, ebenso wie unterschiedliche Aktionsformen. Bei einem gleichzeitigen Austausch und der gegenseitigen kritischen Auseinandersetzung, bei der es nicht um ein „Ihr-macht-doch-sowieso-alles-falsch“, sondern vielmehr um das „Wie-machen-wir-es-zusammen-beim-nächsten-mal-anders?“ geht. Die Diskussion, ob nun Hausbesetzungen ohne Verhandlungen oder Verhandlungen ohne Hausbesetzungen zum Ziel führen werden, ist nur eines von vielen Beispielen, die eine erfolgreiche Praxis schon im Voraus verhindern.

Recht auf Stadt ist eine Chance, wenn wir Differenz, d.h. Pluralität in unseren Praxen zulassen, indem wir uns solidarisch aufeinander beziehen und zwar nicht trotz, sondern wegen einer kritischen Positionierung. Kritik ist also keine Distanz, nichts was uns trennt, sondern Nähe, etwas, dass uns vereint. Oder wie heißt es so schön: Kritik ist die Liebe unter den Genoss_innen. Kritik schafft Handlungsmacht.

Wir wünschen uns also einen dauerhaften, kritischen und solidarischen Umgang miteinander, und genau da schließt sich auch schon der Kreis: Denn dafür brauchen wir Räume, Plätze, Straßen – die Stadt. Und eben auch einen besonderen Raum, der uns alle regelmäßig zusammenführt, der Vernetzung, Organisierung und Austausch ermöglicht: Jena braucht ein autonomes Zentrum!