„Wer im Glashaus sitzt…“ – Kommentar zur Debatte um Rekommunalisierung und Enteignung

Die Forderung nach Vergesellschaftung von Wohnraum bekommt immer mehr Zuspruch. Hier auf der Thüringer Mietparade in Jena (12. Mai 2019).

Frank Emrich – Direktor des größten Lobbyverbands der Wohnungsunternehmen im Freistaat (genannt Verband Thüringer Wohnungswirtschaft) – zeigt sich vor den anstehenden Kommunalwahlen besonders umtriebig. Nachdem er jüngst ernsthaft behauptete, dass es bei den Mietpreisen in Thüringen noch viel „Spielraum nach oben“ gebe, legte er per Pressemitteilung nun nach. Er sieht einen „linken Wohnungspopulismus“ am Werke, dessen Rhetorik zur „Zerreißprobe“ der Gesellschaft werde.

Gemeint ist die Forderung nach „Enteignung“ großer Immobilienunternehmen, die in der Bevölkerung immer mehr Zustimmung gewinnt. Klar, dass das für jene, die aus Wohnraum Profit schlagen wollen, ein rotes Tuch ist. Besonders anstößig fand Herr Emrich ein Transparent der Partei Die Linke, welches auf der von uns und anderen Thüringer Mieterinitiativen organisierten Thüringer Mietparade zu sehen war. Auf diesem stand: „KoWo bleibt. Jenawohnen enteignen.“. Auch Jenas unternehmerfreundlicher Oberbürgermeister Thomas Nitzsche (FDP) kommentierte dies voller Empörung.

Selbstverständlich liegt hier ein Missverständnis vor. Enteignet werden sollte nicht jenawohnen, sondern ihr privater Anteilseigner, die Thüga AG. Dafür müsste nicht einmal auf die vom Grundgesetz verbriefte Möglichkeit der Enteignung zurückgegriffen werden, schließlich haben sich die verschiedenen Anteilseigner der jenawohnen GmbH auf die Möglichkeit des Rückkaufs der privatisierten Anteile geeinigt. Hier fände das schnöde private Vertragsrecht seine Anwendung – von dem gerne herbeifantasierten staatlichem Zwang fehlt jede Spur. Inwiefern dies die Gesellschaft zerreiße, bleibt daher das Geheimnis von Herr Emrich.

Was dieser ohnehin verschweigt, ist der längst offensichtlich gewordene Umstand, dass diese Gesellschaft schon lange zerrissen ist. Die Schere zwischen Arm und Reich ist keine Erfindung irgendwelcher linker Demagogen, die zur Verfolgung ihres achso niederträchtigen Zieles einer gerechteren Gesellschaft als Wolf im Schafspelz über die Gesellschaft herfallen. Stagnierende Löhne und explodierende Mietpreise sind eine folgenreiche Realität – nicht etwa eine „gefühlte Wirklichkeit“ – eines Großteils der Menschen, die zur Miete wohnen. Von der gähnenden Leere im in ihrem Geldbeutel wussten diese schon, bevor das Schreckgespenst der „Enteignung“ durch die Medien geisterte.

Und überhaupt, wenn Herr Emrich Enteignung unbedingt skandalisieren möchte, sollte er zunächst einmal vor der eigenen Haustür kehren. Woher kommen denn die riesigen Gewinne, die Immobilienunternehmen seit Jahrzehnten erwirtschaften? Die Spekulation mit Boden und Wohnraum ist ein Geschäft auf Kosten der Mieter*innen, die für unsanierte oder am Bedarf vorbei modernisierte Bestände einen immer größeren Teil ihres Einkommens für das Recht auf Wohnen hergeben müssen. Solch eine schleichende Enteignung von oben eignete sich lange Zeit weniger als Schlagzeile der Titelseiten, stellt aber einen gesellschaftlichen Schaden und Spaltpilz dar, der die Enteignung großer Wohnungsunternehmen bei weitem überwiegt.

Pressemitteilung: Hohe Mieten in Jena sind keine Fantasie!

Foto: Kundgebung gegen #Mietenwahnsinn, Jena 06.04.2019

Mieterinitiativen kritisieren Lobbyismus der Wohnungswirtschaft: Pünktlich zum Auftakt des Thüringer Wahljahres geht die organisierte Wohnungswirtschaft in die Offensive. Interessenvertreter der Wohnungsunternehmen sehen „Wohnungspopulismus“ am Werk und bei den Mietpreisen „Luft nach oben“. Drei Jenaer Mieterinitiativen (Recht auf Stadt, Bürgerinitiative für soziales Wohnen in Jena und Initiative zur Re-Demokratisierung der Jenaer Baugenossenschaft) üben Kritik an einseitiger Darstellung und intransparenter politischer Einflussnahme.

Der Präsident des „Verbandes Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft“ (vtw) Frank Emrich glaubt, dass es „in Thüringen kein Miethöhen- sondern ein Einkommensproblem gebe.“ (TA, 03.05.19). Mehrere Mieterinitiativen aus Jena stimmen ihm zu, dass die Löhne in Thüringen zu niedrig sind und freuen sich bereits auf die Unterstützung des vtw in hiesigen Lohnkämpfen. Steigende Löhne seien aber nur im Interesse der Mietenden, wenn sie selbst davon etwas haben und nicht jede Lohnerhöhung sofort wieder an die Wohnungseigentümer weiter geben müssen.

Dass die Mietbelastung in Thüringen und besonders in Jena zu hoch ist, bestätigt der neulich erschienene Thüringer Wohnungsmarktbericht: Haushalte in den Thüringer Großstädten sind aktuell gezwungen im Durchschnitt 30 % ihres verfügbaren Einkommens für das Grundrecht Wohnen auszugeben. Bei Geringverdienern ist diese sogenannte Mietbelastungsquote in der Regel sogar deutlich höher (in Extremfällen über 50 %). Frank Emrich sieht darin keine Überbelastung: „Das ist nicht überbeansprucht“, sagte er der Thüringer Allgemeinen. Bei den „Miethöhen in Thüringen“ bestünde im Gegenteil „Spielraum nach oben“. VertreterInnen von Mieterinteressen zeigten sich indes fassungslos:

„Wir sind uns uneins, wo sich Herr Emrich in den letzten Jahren aufgehalten hat, in den Thüringer Großstädten jedenfalls ganz sicher nicht. Das Überschreiten der 30%-Hürde bei der Mietbelastung stellt laut EU-Definition und Wissenschaft ein eindeutiges Armutsrisiko dar.“, so Marcel Weikert vom Netzwerk Recht auf Stadt Jena.

Auch zeigt sich Frank Emrich besorgt über einen „wachsenden Wohnungspopulismus“, der „von Polemik und Unwahrheiten geprägt“ sei. Der Populismusvorwurf aus Richtung der organisierten Wohnungswirtschaft sei eine mittlerweile bekannte Strategie der Deligitimierung von sozialen Bewegungen und MieterInneninitiativen, führt Georg Enzmann, Mitglied der Bürgerinitiative für soziales Wohnen in Jena, aus. Nicht nur der Wohnungsbericht, herausgegeben vom Land Thüringen und wissenschaftliche Studien würden den Mangel an sozialen Wohnraum in Thüringen belegen; die Wohnungskrise sei im Alltag Tausender MieterInnen, in Stadt und Land, praktisch erlebbar: hohe Mieten, erzwungenes Sparen in anderen Lebensbereichen, Wegzug aus der bekannten Nachbarschaft, keine Chance, die passende Wohnung zu finden.

Teil des neu gegründeten Arbeitskreises sind u.a. Karsten Völkel (Vorstand der Jenaer Baugenossenschaften), als Sprecher und sein Stellvertreter Gunnar Poschmann (Jenawohnen). Tamara Schindler von der Bürgerinitiative sieht den Grund für den neuen Arbeitskreis zum Einen in dem Zeitpunkt und zum Anderen in dem stärkeren Druck von organisierten MieterInnen:

„Enteignung ist mittlerweile kein Unwort mehr, sondern findet ein breites Spektrum an BefürworterInnen. Diese Entwicklung löst bei großen Wohnungsunternehmen erwartungsgemäß Panik aus. Und das ist auch gut so. Mit unserer Forderung, Jenawohnen zu rekommunalisieren, geht es ans Eingemachte, d.h. an die Profite, die aus Wohnraum geschlagen werden“.

Irritiert zeigten sich Vertreter der Initiative zur Re-Demokratisierung der Jenaer Baugenossenschaft: „Uns verwundert insbesondere auch die starke Beteiligung von Genossenschaften innerhalb des neu gegründeten Arbeitskreises“, so Katharina Kraushaar.

„Die Mitgliedschaft von Jenawohnen in einem Lobbyverband der Wohnungsunternehmen überrascht mich nicht. Hier steht die Rekommunalisierung und Demokratisierung noch aus. Genossenschaften hingegen gehören immer noch den Mitgliedern. Die Vorstände der Genossenschaften haben daher nicht die Aufgabe, die Interessen privater Unternehmer zu vertreten. Als Angestellte der Genossenschaft haben sie vielmehr auf die Versorgung der Genossenschaftsmitglieder mit gutem und günstigem Wohnraum hinzuwirken. Die von Herrn Völkel erwähnten Debatten um die Eichplatzbebauung und die Rekommunalisierung von Jenawohnen stehen damit in keinem erkennbaren Zusammenhang. Diese Prozesse sollten der demokratischen Meinungsbildung innerhalb der Jenaer Bürgerschaft überlassen bleiben.“, so Kraushaar weiter.

Der Versuch durch den neu gegründeten Arbeitskreis die kommunale Wohnungspolitik im Sinne wohnungswirtschaftlicher Interessen zu beeinflussen sei überflüssig, da diese schon seit Jahren in die „AG Wohnungswirtschaft“ erfolgreich eingebracht würden, so alle drei Mieterinitiativen im Einklang. Doch auch diese vernetzen sich und schaffen Orte der Auseinandersetzung. So findet diese Woche (12.05) die Zweite Thüringer Mietparade statt, eine Demonstration von und für MieterInnen, gefolgt von einem Stadt-für-Alle-Fest, bei dem sich verschiedenste Initiativen vorstellen. Evelyn Strauch von dem Organisations-Bündnis erklärt:

„Mit der Mietparade wollen wir – Gruppen aus Weimar, Jena und Erfurt und darüber hinaus – den Interessen und Bedürfnissen der MieterInnen mehr Gehör verschaffen,denn diese kommen im Gegensatz zu jenen der Wohnungsunternehmen trotz kleiner Schritte in die richtige Richtung weiterhin systematisch zu kurz. Am 12.05. werden wir in Jena zeigen, dass wir viele und bereit sind, für unser Recht auf Wohnen einzustehen“.

Weitere Informationen:

www.thueringer-mietpara.de
rechtaufstadtjena.noblogs.org
sozialeswohneninjena.wordpress.com