StattProbleme Nr. 1 – Ein Bericht

Am vergangenen Mittwoch – den 6. April 2016 – war es endlich so weit: der neu gegründete Gesprächskreis „StattProbleme – Wohnen und Mieten in Jena“ kam zum ersten Mal zusammen, um einander von Mietproblemen zu erzählen und gemeinsam einen Weg zu finden sie anzugehen. In einer gemütlichen Runde schauten wir bei Tee bzw. Kaffee und Keksen aber zunächst einmal die Dokumentation „7 Tage bei der PAH“. Im Anschluss tauschten wir uns kurz über unsere Eindrücke aus und führten eine kleine Diskussion über die Möglichkeiten und Notwendigkeiten einer sozialen Bewegung wie der PAH in Deutschland bzw. Jena.

Die Dokumentation „7 Tage bei der PAH“ handelt von Menschen, die sich in der Plataforma de Afectados de las Hypotecas (deutsch: Forum der von Hypotheken Betroffenen) organisieren, in_mit der sie ihre Mietprobleme kollektiv bewältigen. Im Zentrum stehen die Geschichten von (ehemals) Betroffenen, die selbst zu Aktivist*innen geworden sind und sich seit 2007 ausgehend von Barcelona gegen Zwangsräumungen und für die Gesamtschuldentilgung bei Wohnungsenteignung überall in Spanien engagieren – und das mit Erfolg! Emotional und durchaus mitreißend berichten sie von Verzweiflung und Resignation, von Würde, Stärke und Selbstbewusstsein und von den selbst ermächtigenden Prozessen, die die Organisierung in und mit der PAH angestoßen haben. Zugleich führt die Dokumentation anhand von sieben exemplarischen Tagen in die basisdemokratischen Organisierungsformen der PAH ein, die vom Erstkontakt zwischen neuen, alten und ehemaligen Betroffenen, über den gewollt emotionalen und emphatischen Austausch über die individuellen, aber zugleich geteilten Probleme bis hin zum Planen und Durchführen gemeinsamer Aktionen reichen und schließlich in einer überregionalen Vernetzung münden.

Die Solidarität anderer Betroffener im ansonsten aussichtslosen Einzelkampf gegen Behörden und Banken überzeugte zahlreiche Menschen davon, dass die in Spanien weitverbreitete Annahme, die korrupte Parteipolitik diene nur der Durchsetzung der Interessen der Politiker*innen selbst, noch lange keine Abkehr von Politik in Gänze bedeuten müsse. So nahmen die Mitglieder der PAH – dies zeigt die Dokumentation eindrucksvoll – ihre Anliegen fortan selbst in die Hand; ohne politische Repräsentation, sondern direkt mit den Mitteln des zivilen Ungehorsams. Die empfunden und tatsächlich von sozialem „Abstieg“ bedrohten Menschen, die überwiegend weiterhin oder ehemals der spanischen Mittelschicht angehörten, organisierten sich somit selbst; für ihre eigenen Interessen, aber auch für die Interessen anderer, denn schließlich gibt sich die PAH nicht mit dem erreichen oben genannter Ziele zufrieden. Mittelfristig strebt sie ebenso einen flächendeckenden sozialen und bezahlbaren Wohnungsbau an. Das mag noch nicht das Ende aller Tage sein beim Kampf gegen soziale Ungleichheit, aber wenigstens eine erfrischende und ermutigende Antwort auf die sich verschärfenden sozialen Ungerechtigkeiten und Konflikte, die nicht, wie so oft zur Zeit in vielen europäischen Regionen politische Apathie und_oder Rechtspopulismus / Rassismus / Sexismus heißt.

Im Anschluss an die Dokumentation tauschten wir uns – mit Rückenwind, Begeisterung und einer kleinen Portion Wehmut – über unsere Eindrücke aus. Dabei waren wir uns einig, dass die noch nicht beendete Geschichte der PAH bisher eine Erfolgsgeschichte der solidarischen Selbstorganisierung ist. Die Facetten des Erfolges reichten unserer Ansicht nach von einer auffällig guten Durchmischung bezüglich Alter und Geschlecht (weniger jedoch bei sozialer und nationaler Herkunft), über die beeindruckenden Biografien der Betroffenen und ihr Engagement in der PAH über ihr Anliegen hinaus, bis hin zur allgemeinen Dynamik der Organisierung von der die Dokumentation zeugt. Uneinigkeit herrschte dann jedoch bei der Frage, warum solche Erfolgsgeschichten bisher nicht in Jena zu erzählen sind. Trotz hoher Mieten und Wohnungsmangel gibt es keine organisierte Mieter*innenbewegung, die für ihre Interessen gegen(über) Politik und Verwaltung eintritt. Während einige die Ursache dafür in den Unterschieden der Mentalität bzw. Kultur suchten, waren andere der Ansicht, dass das Niveau der Verelendung, d.h. die Notwendigkeit des Aufbegehrens, in Jena bzw. Deutschland allgemein noch nicht erreicht sei. Wiederrum andere meinten, dass die fehlende Organisierung von Mieter*innen auf Ungleichzeiten zurückzuführen sei, sie aber prinzipiell ebenso möglich sei, wie es auch schon Beispiele aus Hamburg und Berlin zeigen würden.

Damit haben wir schon eine Kernziel des Gesprächskreises „StattProbleme“ andiskutiert, nämlich die Möglichkeit(en) einer selbstbewusst für ihr Recht auf Stadt eintretenden Bewegung in Jena und darüberhinaus. Damit möchten wir in den folgenden Monaten fortfahren, um anhand unserer Erfahrungen mit dem Mietverhältnis gemeinsam(e) Perspektiven und Wege zu finden. Für die anwesenden Menschen war der erste Gesprächskreis in jedem Fall ein gelungener und motivierender Auftakt, der Lust auf mehr macht.