Redebeitrag Wolja

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe subkulturellen und semi-subversiven Subjekte,

da sind wir wieder einmal lustig zusammengekommen um miteinander zu feiern und zu nerven. Schön schön soweit. Vielleicht erinnern sich einige von euch noch an meinen Redebeitrag von letzten Jahr zur ersten Nachttanzdemo, welche um ehrlich zu sein zumindest für mich ganz grauenhaft war. Ob sich was getan hat in diesem Jahr, müssten wir zusammen beurteilen. Auf jeden Fall haben so einige Menschen Initiative ergriffen, angefangen, sich mit politischen Themen und ihrer Umgebung auseinander zu setzen. Es gab zwischendurch mal zwei Hausbesetzungen – ich weiß nicht, wer sich von euch daran noch erinnern kann.

Und also haben wir uns heute und hier wieder zusammengefunden, um in einer Form ritualisierter Meinungsäußerung mal irgendwie eine andere Art von Party zu machen. Sowas gehört zum Alltag in einer Studentenstadt dazu, nicht wahr? Und ich behaupte ja auch keineswegs, dass es sich dabei um ein völlig unpolitisches Ereignis handelt. Ob das jetzt inhaltlich meinen Vorstellungen entspricht oder nicht – es ist in jedem Fall ein politisches Ereignis, wenn Menschen unter bestimmten Gesichtspunkten zusammenkommen, nämlich, weil sie ein öffentliches Anliegen formulieren und zum Ausdruck bringen wollen.

Vielleicht ist in der Tat sogar jemand unter uns, weil sie oder er dem Aufruf der Demo gefolgt ist. Für alle anderen: Lest ihn euch dann mal im Nachhinein durch, der ist wirklich nicht so schlecht. Stellt euch mal vor, es gäbe Menschen unter uns, die keine andere Person hier kennen, die nicht hauptsächlich wegen der Musik und der Party hier sind und auch nicht einfach, weil eben nen paar Alternativos auf einer vorgefertigten und abgesegneten Route durch die Stadt mobben und das mal ganz lustig ist. Schaut euch mal um, – links, rechts – wen ihr so kennt oder auch nicht; wo ihr die Leute so einordnet. Und stellt euch vor, es wären Leute hier, weil sie ernsthaft dem Aufruf zu Demo gefolgt sind.

Ich weiß, dass ist eine etwas verrückte Vorstellung – jemand geht zu einer Demo, weil sie oder er vorher den Aufruf gelesen hat, ehrlich unterstützt und deswegen ihre oder seine Meinung dort vertreten möchte. Eigentlich ist das aber der Sinn eines Aufrufes und nicht die vorträglich-nachträgliche Rechtfertigung von ritualisierten sogenannten Aktionen, die mensch eben machen muss – aus irgendeinem Grund, der sich dann schon zurechtschreiben lässt.

Worauf ich mit dieser polemischen Bemerkung hinaus will ist die schlichte Frage: Nehmen wir uns selbst überhaupt ernst? Nehmt ihr euch selbst ernst als viele unterschiedliche Menschen mit den verschiedenen Gründen die ihr habt, hier zu sein? Beginnen wir uns endlich als einen vielseitigen politischen Akteur zu verstehen und zu versammeln, einer Art wirklicher Bewegung, die dann auch etwas zu sagen hätte, fordern und selbst aufbauen könnte? Beginnen wir uns hier und heute zu organisieren, kleine Gruppen zu bilden, die miteinander in Kontakt stehen und gemeinsam etwas erreichen wollen? Denn das wäre wohl die Grundlage für die Entwicklung einer Bewegung beispielsweise unter dem Label „Recht auf Stadt“, der es darum ginge die steigenden Mietpreise zu stoppen, die Stadtentwicklung und überhaupt die Verwaltung zu demokratisieren, Geflüchtete und Marginalisierte willkommen zu heißen und ihnen Räume zu eröffnen. Uns Räume für uns selbst zu nehmen, alternative Produktionskreislaufläufe aufzubauen, Kritik an der Verwertung und den Eigentumsverhältnissen zu üben, den Rüstungsstandort Jena anzugreifen und so weiter und so fort.

„Und wer weiß was wird passieren, wenn wir uns organisieren“ – sang mal vor langer Zeit Rio Reiser. Auch wenn der so nen Bart hat, würde ich mal sagen, dass es heute wie damals stimmt. Wenn wir’s ernst damit meinten, kämen wir von der ritualisierten Meinungsäußerung hier, zu einem echten Protest möglicherweise; vom Protest zum Widerstand und vom Widerstand zur Schaffung gesellschaftlicher Alternativen.

A propos Alternative und Alternativ-Kulturen: Es spricht viel dafür sie abzuschaffen. Zumindest das, was inzwischen darunter verstanden wird und vollkommen in den Kapitalismus integriert ist, ihn weiterentwickelt und seinen asozialen Folgen kompensiert. Sogenannte Alternative nehme ich ernst, wenn sie sich ernsthaft über Alternativen Gedanken machen und an deren immer schwierige, anstrengende und langwierige Umsetzung wagen.

Das setzt ganz entschieden eine Beschäftigung mit den Verhältnissen um uns herum voraus. Wir müssen begreifen lernen, was um uns herum geschieht; wir müssen die kapitalistische und die Herrschaftslogik im Großen und Ganzen verstehen lernen, um im Detail, im Kleinen, mit unseren eigenen Händen, mit unseren Freunden, Bekannten und Weggefährten etwas anderes aufzubauen; um mit den Logiken dieses Systems zu brechen, sie zu überwinden.

Ich bevorzuge eigentlich den Begriff „Gegenkultur“, weil wir uns zunächst immer erst einmal in Abwehr der Zumutungen eines beschissenen Systems organisieren müssen. Ein bisschen was davon gibt es hier ja auch und an einigen Orten. Gegenkulturen haben aber nur dann ihren Sinn, wenn von ihnen wirklich auch eine Gegnerschaft den herrschenden Verhältnissen gegenüber ausgeht. Und wenn sie echte Rückzugsorte darstellen, in denen wir uns aber nicht einigeln, sondern Kraft sammeln, uns vernetzen, organisieren, selbst bilden, Pläne schmieden, Ideen entwickeln und heraustreten, um für eine ganz andere Gesellschaft aktiv zu werden. Wenn wir das tun, kommen wir von der bloßen Meinungsäußerung zu leisem und lauten Protest. Von diesem zu aktivem Widerstand. Und zu einer besseren Gesellschaft, die im Hier und Heute entstehen kann.

Und sie entsteht schon. Das ist ja der Witz! Die andere Gesellschaft entsteht wo Menschen anfangen, neue Wege zu gehen. Dafür ist Alternativkultur, dafür ist die Nachttanzdemo heute Zeichen und Ausdruck. Sie verkörpert eine Sehnsucht nach anderen Verhältnissen, deren Verwirklichung in unseren Händen liegt, zu denen wir zumindest einen Beitrag leisten können. Die Nachttanzdemo verkörpert die Sehnsucht nach anderen Verhältnissen, aber sie ist noch kein anderes Verhältnis.

Wenn ihr euch selbst irgendwie als Linke oder Alternative versteht, dann stellt euch doch einfach immer wieder mal die einfach Frage: Was ist denn das Andere? Und zwar auf allen Ebenen:

Was ist das Andere in meinen persönlichen Lebenumständen? Wie lebe ich andere Beziehungen? Wie gehe ich anderes mit Menschen um. Wie kann ich neue Wege gehen und zu anderen Ansichten gelangen? Wie kann ich anders Selbstbewusstsein erlangen anstatt durch meine Verwertbarkeit oder Überlegenheit?

Was ist die andere Gesellschaft? Der Kommunismus ist kein Schlaraffenland. Das, was ihn vor allem auszeichnet ist, dass er besser für alle und eben sehr anders ist. Was ist ein anderer Umgang in den internationalen Auseinandersetzungen? Wer sind die Anderen, die in diesen reichen und exklusiven Land BRD keinen Platz finden? Wie kann eine Gesellschaft ganz anders aufgebaut werden? Was sind die anderen Werte, die wir verwirklichen wollen?

Schließlich, weswegen wir gerade hier sind: Was ist das Andere in dieser Stadt? Wie können wir uns vorstellen (nicht im luftleeren Raum oder als bekifftes Hirngespinst), dass diese Stadt anders aussieht, dass sie eher unseren Bedürfnissen entspricht? Und wie organisieren wir uns anders, um dies zu konkret verwirklichen? Im Denken auf die befreite Gesellschaft hin, beginnen wir diese nach unseren Fähigkeiten und Möglichkeiten kollektiv zu verwirklichen.

Nach all diesen anarchokommunistischen Wohlfühlgesäusel noch eine abschließende Kritik und damit wir uns richtig verstehen: Ich will hier ganz andere Dinge und damit meine ich Konkretes.

Diese sogenannte Alternativ-Szene hier ist ziellos, bewusstlos und ortlos. Ich kritisiere das mangelhafte Verständnis für die uns umgebenden Verhältnisse und die Bequemlichkeit von vielen von uns. Ich kritisiere die Irrationalität und falsche Toleranz von einigen hier. Ich kritisiere die Selbstbezüglichkeit und copy-and-paste-Entwicklung politischer Aktionen wo im Aufruf unter der Überschrift „Was wir tun?“ geschrieben wird: „Deswegen werden wir weiter intervenieren, blockieren, markieren, Häuser besetzen, Straßenfeste veranstalten, eure Häuser anmalen, durch die Nacht singen und tanzen, uns nicht anpassen und uns dem monotonen Alltag des Lebens entgegenstellen.“.

Wer verdammt noch mal ist denn dieses exklusive Wir, von dem hier die Rede ist, welches einen falschen Gegensatz zur Mehrheitsbevölkerung behauptet, der doch nur ganz bedingt besteht? Ich hoffe, ich bin es nicht. Wenn ihr das glaubt, würde ich austreten. Und zwar: Weil ich etwas anderes will. Das Andere besteht aber nicht in vermeintlicher Abgrenzung und dem trotzigen Rückzug auf eigene bornierte Standpunkte, sondern in einer Bewegung, die viele verschiedene Menschen mitdenkt und einbezieht; die Inhalte aber weiterentwickelt, aktiv Grenzen überschreitet, Protestformen entwickelt und Neues schafft um gemeinsam zu etwas ganz anderem zu gelangen.

In diesem Sinne: Für den Anarchokommunismus. Und feiert noch schön!